Nachbarschaftshilfe, Kooperation statt Konkurrenz.

Wissenschaftler warnen uns seit Jahren vor einer Pandemie. Seit der SARS-Epedemie im Jahre 2003, ausgelöst durch ein Coronavirus, ist an Impfstoffen gearbeitet worden. Aber diese Forschung beschränkte sich auf klinische Verfahren, dies obwohl die Pandemie voraussehbar war. So sagt Noam Chomsky, einer der bedeutensten Geisteswissenschaftler unserer Zeit in einem Interview für « Truthout » am 1 April 2020. :  « actions to prepare for such a crisis were barred by the cruel imperatives of an economic order in which theres no profit in preventing a future catastrophe.”

 

Wenn kein Gewinn mit bevorstehenden Katastrophen zu machen ist, so zeichnet sich das neoliberale kapitalistische System aber dadurch aus dass Katastrophen es den Mächtigen dieser Welt erlauben in Krisen-und Notstandssituationen eine wirtschaftliche Ordnung und eine Politik durchzusetzen, die sonst durch Proteste der Bevölkerung blockiert würde. Beschrieben und untersucht wird diese These in dem Buch « Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, 2007 » von Naomi Klein. Somit geht es hier nicht um Verschwörungstheorien oder darum, eine Intention zu unterstellen, sondern es ist ein Verweis darauf welche Gelegenheiten sich bieten und wie diese genutzt werden können. Als Beispiel sei hier angeführt die Beschreibung von Klein wie der Hurrikan Katrina das Leben in New Orleans verändert hat. Die Gier nach Profit  konnte aufflammen und hat, als Beispiele, solche Institutionen wie Schule oder Wohnen total verändert. Schulen wurden maximal privatisiert und somit kostenpflichtig. Mächtige Immobilienkonzerne eigneten sich die verwüsteten Wohnviertel der Armen in den besten Lagen an und verkaufen nun neue Immobilien zu horrenden Preisen an zahlungskräftige Kunden. Für ärmere Menschen war kein Platz mehr. Für Luxemburg wirft das unter anderen, diese Fragen auf: Welche Schulen wollen wir nach der Katastrophe und welche Wohnpolitik? Wie soll die lohnabhängige Arbeit gestaltet werden? Die Transformation hin zu Telearbeit birgt die Gefahr der totalen Isolation der Akteure und die Gefahr einer totalen Überwachung. Ein kollektives « sich wehren » wird nahezu unmöglich gemacht. Die Gewerkschaftsbewegung riskiert an Gewicht zu verlieren. Wollen wir eine Politik welche eine Wirtschaftsform favorisiert die den Gewinn oder den Menschen in den Mittelpunkt stellt? Eine ethische Frage? Wäre der « new green deal » eine alternative Option.  Was ist mit den Grundrechten? Ist die aktuelle Informationspolitik ehrlich? Oder, frei nach George Orwell, eine Art « newspeak »? Werden unsere Krankenhäuser weiter nach ökonomischen Prinzipien verwaltet werden? Dieser Fragenkatalog könnte fortgesetzt werden.

 

Die Krise als Chance sehen, können, sollen, dürfen wir das? Es müsste sein. Ein Lichtblick wäre, daß dieser Tage ein Mythos infrage gestellt wird, welcher sich in unseren Köpfen fest installiert hat und sich hartnäckig gegen jede anders geartete Weltanschauung zu wehren gewusst hat.  Nämlich, dass Konkurrenz und Egoismus die treibenden Kräfte sind um den Fortgang der Welt zu gewährleisten und daß dadurch unser Wohlergehen permanent steigt. Diese  steigende « Lebensqualität » ist sogar messbar, wird uns suggeriert. Das kapitalistische System als Garant für nie enden wollendes « Glücklichsein »? Doch, Angebot und Nachfrage, Anreiz, Egoismus, Konkurrenz und Wettbewerb sind die Schlüsselwörter für diese Weltanschauung und sind Begriffe welche im Kern kontradiktorisches Potential beinhalten. Sie sind also im weitesten Sinne konfliktueller Art. Es werden Menschen gegeneinander ausgespielt. Jeder gegen jeden und jeder für sich! Sind wir das?

 

Viel ist quer durch alle wissenschaftlichen Fachbereiche zu diesen Fragen geforscht worden. Adam Smith wird gern als Vater des Kapitalismus (Die unsichtbare Hand die alles regelt) zitiert, aber man verschweigt gerne dass er die Gefahren, die mit Arbeitsteilung und Spezialisierung verbunden sind analysiert hat. Er war sich darüber im Klaren, dass sie zu einer Entseelung“ bzw. Monotonie der Arbeit oder zur Verdummung des Menschen führen kann. Genauso wird mit einem anderen Jahrtausendwissenschftler verfahren, nämlich mit Charles Darwin. Seine Evolutionstheorie wird meist auf die Begriffe « war of nature » und « struggle for life » von den Verfechtern der alternativlosen Wirtschaftsform des « homo oekonomicus », reduziert. Aber er war sich sicher daß Altruismus und Kooperation einen essentiellen Einfluß auf die Evolution gehabt haben. Neuere Forschung im Bereich der Neurobiologie zeigt auf daß das menschliche Hirn positiv auf Eigenschaften « die der Natur des Menschen entsprechen » reagiert. Das  will heißen daß das Belohnungszentrum bei menschlicher Kooperation aktiviert wird, nicht aber wenn derselbe Mensch sich in einer Konkurrenzsituation befindet. Der Mensch wird hier als « ultrakooperativer Primat » (nach dem Anthropologen Michael Tomasello) beschrieben.

 

Kann denn nun die aktuelle Krise uns zeigen daß unsere heutigen Lebensentwürfe nicht alternativlos sind? Sind andere Rahmenbedingungen für ein anderes Zusammenleben möglich oder notwendig? Soll es wieder möglich sein Marcel Mauss zu zitieren, den französischen Soziologen, der « die Gabe » als das Verbindende Element in unseren Gemeinwesen in den Vordergrund stellt. Marcel Mauss spricht in Bezug auf verschiedene reziproke, in Gesellschaften eingebettete, Tauschsysteme von einem totalen Phänomen. Ein Leistungssystem in dem der Austausch von Gütern und Dienstleistungen nicht exklusiv einem kapitalistischen, profitorientierten Handlungsmuster folgt, sondern darauf beruht daß der Zusammenhalt durch die Reziprozität, also das Geben und das Annehmen von Geschenken geleistet wird. Ist diese Vorstellung eine Utopie, ein unrealistisches Gedankenspiel? Nicht so ganz wenn wir uns ansehen was aktuell unsere Verhaltens- und Handlungsweise bestimmt. Menschen helfen einander, unentgeldlich, um sich und andere zu schützen. Es scheint als gehe es um den Überlebenskampf, nicht jeden Einzelnen, sondern um den unserer Spezies. Andere Prioritäten rücken in den Vordergrund. Was gestern noch absolut sein mußte, ist heute Zweit-Drittrangig. Die Konsumgesellschaft macht Pause, die Produktion nicht elementar wichtiger Güter und Dienstleistungen gezwungenermassen auch. Wenn diese Gegebenheit unsere einzige Chance auf ein Überleben sein soll, dann muß man die Überzeugungen der Verfechter der Wachstumstheorien ernsthaft in Frage stellen können. Wir spüren auch daß diese Einschränkungen nicht in Armut ausarten müssen, sondern in einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und deren Transformation.

 

So auch in Luxemburg. Konkret angedacht wurde eine solche neue Orientierung der Wirtschaft  in den späten Neunziger Jahren und dann Anfang Zweitausend, experimentell in die Praxis umgesetzt. Das neue Konzept trug den Namen « Solidarwirtschaft » und das Ziel war einen dritten ökonomischen Pfeiler neben der Staats- und Privatwirtschaft aufzubauen. Ein neues Segment der Wirtschaft welches nicht gewinnorientiert funktionieren sollte. Zurzeit begleitet ja die Johns Hopkins University weltweit die Korona-pandemie. Damals war sie federführend bei den Bestrebungen einen neuen Wirtschaftssektor aufzubauen, den sogenannten « non-profit sector ». Zu dieser Zeit wurden in Luxemburg zum Beispiel die ersten « Services de proximité » (1997, die Geschiirkëscht in Petingen), oder die « Internetstuffen » (die erste 1998 in Esch) ans Laufen gebracht. Aber auch durch Projekte die wir heute als « Urban agriculture » und der damit einhergehenden ökologischen Verantwortung kennen wurde das Prinzip der Selbstversorgung und der kurzen Wege in anderen Betrieben dieser Art vorangetrieben. Diese neuartigen Betriebe waren die CIGL’s (Centre d’initiative et gestion local) und sie organisierten die gegenseitige Hilfe, also das Prinzip der Reziprozität, auf lokaler Ebene. Denn damals galt: Wir nehmen die nicht befriedigten Bedürfnisse in der Gesellschaft auf und befriedigen sie. Auch mit Mitbürgern die nicht in Arbeit waren. Der geleisteten Arbeit stand somit ein Gegenwert entgegen und es war ein Nullsummenspiel für unser Gemeinwesen. 2009 hatte die damalige Regierung dieses neue Konzept in ihr Regierungsprogramm übernommen. Ab 2011 wurde es nicht weiter verfolgt und man favorisierte die Linie des « social entrepreneurschip ». Diese Art der Betriebe der Sozial -und Solidarwirtschaft sind aber wenig geeignet den sozialen Zusammenhalt mitzugestalten. Das Konzept der originären Solidarwirtschft, aber, könnte heute ein Teil der Lösung sein um eine solche Krise zu bewältigen. Die CIGL,s und andere « associations sans but lucratif » sollten sich an den ursprünglichen Ideen der Gründerzeit orientieren um sich sinnvoll an der Beteiligung zur Meisterung dieses Notstandes zu beteiligen.   

 

Romain Biever

Präsident ILES (Institut Luxembourgeois de l’Economie Solidaire)

 

www.iles.lu

Kommentar schreiben

Kommentare: 0